(Über-)Diagnostik bei Degus

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Octodon
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(Über-)Diagnostik bei Degus

Prolog:
Ich schleiche schon seit einiger Zeit gedanklich um dieses Thema herum und hatte auch schon öfter begonnen, einen Beitrag zu verfassen. Aber irgendwie war es aufgrund aktueller "Fälle" hier im Forum gefühlt nie der richtige Zeitpunkt, da ich die Befürchtung hatte und habe, mein Text könnte mißverstanden werden, User könnten sich angegriffen /kritisiert fühlen. Dabei sind es im ersten Step erstmal nur Beobachtungen. Im zweiten Step möchte ich für die deguspezifische Anatomie, Physiologie sowie seiner charakterlichen Eigenschaften als klassisches Beutetier sensibilisieren. Denn ich hab tatsächlich das Gefühl, dass diese Eigenschaften und Besonderheiten (wenn man es denn so nennen will) beim Tierarzt und von Tierärzten gedanklich ausgehebelt wird. Wichtig ist imho nochmal, dass ich hier niemandem an den Karren pinkeln will. Ich weiß, wir handeln alle in bester Absicht für unsere Tiere, aber wir kennen alle auch den Spruch: Gut gemeint ist nicht immer auch gut gemacht. (hierbei Betonung auf "nicht immer", denn ich spreche ja nicht in Absolutismen und von absoluter Perfektion).



Fangen wir an mit dem Godfather der Überdiagnostik (nicht vergessen: nur im Zusammenhang mit kleinen Heimtieren), dem CT. Wobei ich tatsächlich auch irgendwo verstehen kann, dass sie immer häufiger gerade auch bei kleinen Heimtieren zum Einsatz kommen: sie sind einfach genauer und man bekommt somit ein detaillierteres Bild als bspw. durch ein MRT. Auch kann man größere Bereiche detaillierter scannen. Aber trotzdem: cui bono?! Die Diagnostik orientiert sich doch auch an der Therapie. Und wenn man eh schon ein sehr kleines Tier hat, das aufgrund seiner Größe und sonstigen physischen Beschaffenheiten sowieso nur bis zu einem gewissen Punkt operabel ist, nützt mir die En-detail-Diagnostik allein doch eher weniger bis nichts. Neben den sicherlich brillanten Aufnahmen birgt ein CT aber auch einen großen Nachteil, der im Zusammenhang mit Degus und anderen kleinen Heimtieren deutlich überwiegen dürften: es ist eine Sedation notwendig und vor allem aber häufig auch der Einsatz eines Kontrastmittels (insbesondere bei Weichteildiagnostik). Zudem arbeitet ein CT, im Gegensatz zu einem MRT, mit Röntgenstrahlung, deren Belastung um ein Vielfaches höher ist als bei normalen Röntgenaufnahmen.

Hier eine extrasteile These zur Verdeutlichung: "Okay, jetzt weiß ich, dass die Zähne meines Degus in Ordnung sind. Dafür nehm ich den Tumor, den er vermutlich irgendwann aufgrund des CT entwickeln wird, billigend in Kauf".

Blutabnahme zur Labordiagnostik. Ich erinnere mich, dass es vor rund 15 Jahren schon mal ein ganz großes Thema war im Zusammenhang mit Diabetes-Diagnostik. Ich erinnere mich an eine Deguhalterin im ganz, ganz alten Deguforum, die ihre Degus zwecks Bestimmung der Glukosewerte die Vene an der Schwanzwurzel punktierte (wahlweise irgendwo im Ohrenbereich). Wir diskutierten damals schon über die Sinnhaftigkeit, zumal es wohl auch wirklich ein sprichwörtliches Punktieren war, denn viel Blut war nicht zu erwarten. Sie versicherte damals einigermaßen glaubhaft, dass ihre Tiere diese Maßnahme tolerierten. Trotzdem stelle ich mir bis heute die Frage: warum. In Fachbüchern sind die Wertetabellen auch für Degus ausgelegt, aber wie zuverlässig und aussagekräftig diese Werte sind, steht auf einem anderen Blatt geschrieben. Welcher Degu, der nicht (wie bei der oben genannten Dame) daran gewöhnt ist,läßt sich in einer Tierarztpraxis mal eben locker flockig ein paar ml Blut abzapfen? Zur möglichst stressfreien Durchführung für alle Beteiligten müßte das Tier sediert werden.

Sonografien. Hier kommt es drauf an. Während ich ein Herzultraschall bei Degus für einigermaßen "witzlos" und daher schon zur Überdiagnostik zählen würde, ist die Beurteilung anderer Organe vielleicht möglich - vorausgesetzt, die richtigen Schallwandler sind vorhanden. Ansonsten dürfte auch diese Untersuchung eher wenig Aussagekraft besitzen. Und sollte auch hier das Tier dazu auf jeden Fall sediert werden. Und damit kommen wir jetzt zum nächsten Thema. Das hat nicht unbedingt etwas mit Überdiagnostik zu tun, passt aber dennoch gut zum Thema. Deshalb möchte ich das auch nochmal ansprechen:

Wie eine Untersuchung durchgeführt wird, ist immer Ermessenssache. Oder sollte es zumindest sein. Es gibt einige Degus, die bei der Zahnkontrolle relativ entspannt sind, denen man evtl. sogar die Zähne ohne Sedation richten kann (wobei ich mal nicht davon ausgehe, dass in diesem Fall Gerätschaften wie die Trennscheibe für die Schneidezähne zum Einsatz kommen, denn ich denke, spätestens dann würde jeder Degu vom Tisch springen). Die meisten Tiere sind aber eher unentspannt. Sie haben Angst. Neue Umgebung, neue Gerüche, neue Stimmen. Und dann wird einem noch irgendwas Riesengroßes in irgendwelche Körperöffnungen gesteckt (okay, das liest sich jetzt irgendwie etwas seltsam... aber ihr wisst, was ich meine! :oops: :mrgreen:) oder mit einem Licht ins Auge geleuchtet oder so eine große, kalte Scheibe auf die Brust oder den Bauch gelegt. Das ist Stress pur. Gerade im Zusammenhang mit Zähnen bin ich mittlerweile, was Sedation betrifft, sehr großzügig geworden und lasse im Zweifelsfall lieber einmal mehr sedieren (als es vielleicht (!) notwendig gewesen wäre). Es schont nachweislich Nerven aller Beteiligten und unterm Strich auch Zeit. Man kann so relativ zügig alle notwendigen Untersuchungen und Maßnahmen abhandeln, weckt das Tier dann zeitnah wieder auf.

Natürlich setzt eine Sedation immer die grundsätzliche Narkosefähigkeit eines Tieres voraus. Wenn ein Tier instabil ist, wäre das genauso unverantwortlich. Und ja, ich weiß: Narkoserisiko gibt es grundsätzlich immer. Aber die Gefahr, dass bei korrekter Dosierung irgendwas passiert, ist geringer als oft angenommen wird, hat aber umgekehrt einen großen Nutzen.

Stress ist kräftezehrend, und viele Tiere wehren sich auch sehr stark. Mobilisieren oft ihre letzten Kräfte und bauen danach oft noch stärker ab. Das steht in vielen Fällen in keiner Relation zum Nutzen.

Ergänzend hierzu habe ich auch noch das Thema "Fragwürdige Therapien". Das würde ich gerne zu einem späteren Zeitpunkt nochmal anschneiden.

Ich hoffe wirklich, dass dieses Posting nicht falsch verstanden wird. Ich hab mir wirklich alle Mühe gegeben, es möglichst objektiv zu verfassen. Aber trotzdem versteht jeder nur das, was er verstehen will. Insofern...

Was sind eure Ansichten und Erfahrungen zu diesem Thema?
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DaLo
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Re: (Über-)Diagnostik bei Degus

Hallo,

Danke für´s Aufgreifen dieses wichtigen/schwierigen/vor allem auch emotionalen Themas...

Mir schwirren dazu einige Gedanken durch den Kopf, die ich auch nach langem hin und her nicht wirklich strukturiert bekomme.
Von daher plapper ich jetzt einfach mal los...

Ein ganz entscheidender Punkt scheint mir: "Was mache ich mit dem Ergebnis?"
Oder vielleicht sogar noch einen Schritt weiter vorne angefangen: "Kann der Tierarzt das, was er da an Werten/Bildern erhält, überhaupt richtig deuten/einordnen?"

Die wenigsten Tierärzte haben so regelmäßig Degus in Behandlung, dass sie sich im Laufe der Zeit ein eigenes Bild über Ursache - Wirkung machen können und Fachleute auf dem Gebiet, von denen sie lernen könnten, gibt es quasi nicht. Da fehlt ein Zusammenschluss. Jemand, der Interesse daran hat, Degus wirklich zu erforschen (wobei da das Thema "Tierversuche" mit ins Spiel kommt), um Standarddiagnostik und Standardbehandlung festzulegen. In der Regel wird doch auf Erfahrungswerte anderer Tierarten (Meerschweinchen, Chinchilla, Kaninchen) zurückgegriffen, was jetzt nicht grundlegend falsch sein muss.

Zudem denke ich, dass viele Halter alles ausschöpfen, um auch ihr eigenes Gewissen zu beruhigen. Der Mensch neigt sehr dazu, Aktionismus zu betreiben, um das Gefühl zu haben, nicht tatenlos gewesen zu sein (das ist in unserer Leistungsgesellschaft ein Malus).

Und dieses beschissene Gefühl, nicht zu wissen, was dem Tier noch zumutbar ist und was nicht mehr, kennt vermutlich auch jeder, der eine gewisse Zeit Tiere hält. Und der Glaube daran, dass man ggf. dieses eine Tier hat, das eine Wunderheilung erfährt, kennen vermutlich ebenfalls viele von uns. Und damit man sich nicht im Nachgang noch Vorwürfe macht (macht man sowieso, egal wie man sich entscheidet), wird jeder Strohhalm ergriffen und man ist froh, wenn der Tierarzt noch irgendetwas aus dem Hut zaubert, das untersucht, verabreicht werden kann. Wer weiß? Vielleicht hilft´s ja? Nichts tun hilft jedenfalls vermeintlich nichts, was je nach Umstand aber auch nicht stimmt.

Letztlich ist ein Tier, welches Behandlungen/Diagnostik erfährt, die noch nicht etabliert sind, ein Versuchstier.

Ich habe im Laufe der Jahre und vielen "Versuchstieren" (wobei meine Tierärztin weder Blut abnimmt, noch CTs macht, obgleich sie ein Diagnostik-Junkie ist), meine Einstellung geändert. Ich halte nicht mehr so lange an einem Tierleben fest, sondern schaffe es meist sehr rational mit dem, was sich da zeigt, umzugehen. Das Gute ist, das weiß auch meine Tierärztin und wir diskutieren in der Regel sehr trocken und offen über die Prognose.

Damit kommt ein weiterer Aspekt ins Spiel: Warum will der eine Tierarzt direkt jedes Kleinsttier einschläfern, der andere aber seine gesamten zur Verfügung stehenden Apparaturen in Aktion setzen? Und der Deguhalter als Nicht-Fachmensch vertraut darauf, dass das sinnvoll ist, was ihm vorgeschlagen wird.

Ich glaube, man kann erst nach vielen Jahren und vielen Tieren (wobei manches dieser Wesen eine dicke Entschuldigung verdient hat) ein gewisses Selbstbewusstsein entwickeln, eigene Entscheidungen zu treffen, was man an seinem Tier durchführen lässt und was nicht.

So... ich mache an dieser Stelle mal einen Punkt, weil ich gerade den Eindruck habe, ich könnte noch eine ganze Weile so weiter fabulieren, aber wer soll das dann alles noch lesen ;)

LG Dagmar
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DaLo
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Re: (Über-)Diagnostik bei Degus

Eines ist mir gerade auch noch ins Hirn geschossen, was ich in diesem Zusammenhang faszinierend finde:

Am lebenden Tier wird vieles ausprobiert.
Wenn es aber darum geht, ein gestorbenes Tier obduzieren zu lassen (oder der Wissenschaft zu überlassen, Stichpunkt Frau Dr. Böhmer), dann schaffen es die wenigsten Halter, sich vom toten Tierkörper zu trennen.
Ich weiß, dass Obduktionen in den meisten Fällen ein frustrierendes, da völlig nichtssagendes Ergebnis bringen, aber manchmal ist das auch anders und es könnte - wenn reichlich Ergebnisse vorlägen - ggf. in Hinblick auf die Ursachenforschung weiterhelfen.
Mit Frau Dr. Böhmer gab es eine der ganz seltenen Veterinärmediziner, die sich für Degus und die Zahnproblematik interessiert haben, aber sie bekam schlichtweg zu wenig Präparate in die Hand.

LG Dagmar
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chaya93
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Re: (Über-)Diagnostik bei Degus

@Dagmar: Nimmt sie denn noch Tiere an? Ich dachte sie würde keine mehr nehmen *grübel*
Natürlich beerdige ich meine Tiere auch lieber bei mir im Garten, aber letztendlich... sie sind fort, egal wo sie sind. Für den Abschluss für einen selbst ist es gut, aber für andere Degus wäre es besser sie einzuschicken. Ja, schwierige Entscheidung, wenn man es emotional betrachtet.

---

Zum Thema... ja... schwierig.
Ich habe mir nach deinem Text, liebe Nicole, auch einige Gedanken darüber gemacht. So für mich.
Wenn ich mir überlege, wie es mit Merlin und Jerry war. Wäre es besser gewesen sie direkt gehen zu lassen, als die ersten Probleme auftraten? Rückblickend: Ja, auf jeden Fall. Aber in dem Moment wollte ich einfach nicht, dass ein geliebtes Tier schon aus dem Leben gerissen wird. Und ich denke dieser Gedanke spielt immer mit. Man verbindet IMMER etwas mit dem Tier und ich glaube daher entscheidet man sich sehr, sehr oft und auch meistens für den Weg "noch etwas zu probieren".
Das muss ja nicht negativ sein, manchmal hat das Tier wirklich Glück und wird wieder gesund, manchmal verschafft man ihm noch eine hoffentlich schöne, schmerzfreie Restzeit.
Aber ja... manchmal ist es einfach zu viel.

Ich denke das muss man für sich selbst und auch für das Tier je nach Situation entscheiden. Aber wie du sagt, sie Möglichkeiten sind halt leider begrenzt.
Anna

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DaLo
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Re: (Über-)Diagnostik bei Degus

chaya93 hat geschrieben: 12. Feb 2022, 11:33 @Dagmar: Nimmt sie denn noch Tiere an? Ich dachte sie würde keine mehr nehmen *grübel*
Nein, darum schrieb ich auch in der Vergangenheit ;)
Der Zug ist weg. Leider ~_~
Octodon
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Re: (Über-)Diagnostik bei Degus

DaLo hat geschrieben: 12. Feb 2022, 11:25 Eines ist mir gerade auch noch ins Hirn geschossen, was ich in diesem Zusammenhang faszinierend finde:

Am lebenden Tier wird vieles ausprobiert.
Wenn es aber darum geht, ein gestorbenes Tier obduzieren zu lassen (oder der Wissenschaft zu überlassen, Stichpunkt Frau Dr. Böhmer), dann schaffen es die wenigsten Halter, sich vom toten Tierkörper zu trennen.
Vielleicht liegt es daran, dass eine Obduktion am besten noch körperwarm durchgeführt wird, um möglichst genaue und umfassende Erkenntnisse zu erhalten - was zum anderen auch eine logistische Herausforderung sein dürfte, denn offiziell dürfen niedergelassene Tierärzte schon seit mindestens 15 Jahren nicht (mehr) in ihren Praxisräumen obduzieren. Das muß unter bestimmten Voraussetzungen in veterinärmedizinischen Fakultäten oder ähnlichen Instituten stattfinden. Meine nächstliegendste tiermedizinische Fakultät wäre Gießen, was aber immer noch über eine Stunde Fahrt von meinem Wohnort entfernt ist.

Vielen Menschen ist halt auch die Abschiednahme von ihrem Tier mittels Begräbnis' wichtig - wenn man das Tier obduzieren läßt, kommt es danach in die TKB. Für viele - offengestanden auch für mich - ein äußerst unangenehmer Gedanke. Das ist etwas, das man rational nicht fassen (im Sinne von "greifen") kann.
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Re: (Über-)Diagnostik bei Degus

Die Hauptmotivation wird nicht die herausfordernde Logistik sein, denn im Falle von Frau Dr. Böhmer greift die Argumentation nicht. Die wollte ja "nur" an die Gebisse. In welchem Zustand sich da der Rest vom Tier befand, war der ziemlich egal.
Es ist sicher das, was auch Du beschreibst:
Octodon hat geschrieben: 12. Feb 2022, 13:07 Vielen Menschen ist halt auch die Abschiednahme von ihrem Tier mittels Begräbnis' wichtig - wenn man das Tier obduzieren läßt, kommt es danach in die TKB. Für viele - offengestanden auch für mich - ein äußerst unangenehmer Gedanke. Das ist etwas, das man rational nicht fassen (im Sinne von "greifen") kann.
Das ist der Punkt, den ich nicht verstehe. Das lebende Tier kann man mit allem möglichen tracktieren und "quälen", der tote Tierkörper aber darf nicht mehr "geschändet" werden (wenn ich mir vorstelle, in kalter nasser dreckiger Erde zu liegen und von Würmern zerfressen zu werden, finde ich das auch nicht nett :mrgreen:).
Aber da bin ich - das habe ich im Laufe der Zeit gelernt - tatsächlich ganz anders gestrickt und es ist auch nicht das von Dir angstrengte Thema ;)
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Firelady
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Re: (Über-)Diagnostik bei Degus

Hallo,

schwieriges Thema.
Ich habe nach meinem Dafürhalten noch bei keinem Degu zu viel Diagnostik anwenden lassen. CT, MRT, Ultraschall - selbst bei meiner Hündin damals nicht. Und zu viel versucht habe ich wenn überhaupt vielleicht bei Sir Toby, bei dem die Obduktion, um die ich sogar gebeten hatte, daran scheiterte, dass er an einem Freitagabend erlöst wurde und der Pathologe am Samstag nicht erreichbar war. Ich habe Sir Toby eingefroren auf Anraten der TÄ - und unser Kühlschrank fiel aus 😣
Letztlich landete Sir Toby in der Mülltonne. ~_~

Ich glaube, dass unsere Tiere uns zeigen, ob sie noch wollen oder nicht. Ich glaube, dass man, um einem Tier zu helfen, alles tun sollte, was nötig ist, aber nicht alles, was möglich ist.

Als meine TÄ sagte, sie wollte Odin den vereiterten Zahn mit retrogradem Wurzelwachstum ziehen, war ich mir angesichts der allseits bekannten Berichte über das Entfernen von solchen Zähnen sehr unsicher, ob ich dem zustimmen sollte, weil das für mich schon hart an der Grenze war.

Bei der Kastration vom alten Tappi war das anders. Da hatte ich ja mit seiner Vorbesitzerin zusammen entschieden, dass wir die Kastra durchführen lassen, um ihm ein paar weitere schöne Wochen zu ermöglichen. Ihn womöglich mit ständig vorgefallenem Penis leben oder gar deswegen einschläfern zu lassen, war nie eine Option.

Habt Ihr solche Entscheidungen schon getroffen, bei denen Ihr nicht sicher wart? Wie beurteilt Ihr diese Fälle nachträglich?
Liebe Grüße,
Julia


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Re: (Über-)Diagnostik bei Degus

Das ist der Punkt, den ich nicht verstehe. Das lebende Tier kann man mit allem möglichen tracktieren und "quälen", der tote Tierkörper aber darf nicht mehr "geschändet" werden
Ich denke, das siehst du etwas aus der falschen Perspektive: Menschen, die ihr Tier überdiagnostizieren lassen, möchten ihm ja helfen. Häufig handelt es sich in dem Fall auch um recht unerfahrene Halter, die nicht wissen, dass vieles eben nur theoretisch richtig gut funktioniert bei nem Degu, praktisch aber oft nichts nützt oder bringt, außer einen gewissen ungesunden Stresspegel für das Tier. Ich kann mir vorstellen, dass es da Halter gibt, die von sich aus den Wunsch nach jedweder Diagnostik äußern, den anderen wird es vermutlich von entsprechend ausgestatteten Tierärzten schmackhaft gemacht. Dass das Tier damit unter Umständen gestresst und im schlimmsten Fall sogar gequält wird, ist den meisten ganz sicher nicht bewußt und wenn, wird es verdrängt. Denn es ist ja für den guten Zweck (in dem Zusammenhang muß ich immer noch an diese eine Katze denken, die - definitiv nicht richtig sediert - eine abdominale Biopsie erhielt. Der behandelnde TA wußte das und ich habs ihm auch nochmal gesagt, aber er winkte trotzdem ab mit den Worten "ach, die kriegt das nicht mit"). Also bestenfalls wissen einige Tierärzte, was sie da mit ihren teilweise unfähigen Untersuchungsmethoden dem Tier antun, aber viele von denen sind echt so dermaßen abgestumpft, dass sie es nicht mehr realisieren, dass da ein fühlendes Wesen auf dem Tisch liegt. Die leisten sich das genauso wenig wie Schlachthausmitarbeiter (jaja, steile These, ich weiß).

Wenn man das also so betrachtet, ist natürlich auch klar, dass die meisten Tierbesitzer dann auch keine Obduktion wollen. Da schließt sich der Kreis zu dem heute früh Geschriebenen.

Man kann auch hier nochmal genauer hinschauen, weswegen man bei manchen Tierärzten diagnostisch alles kriegt, was das Herz begehrt und andere wiederum abwinken und sagen, dass man bei so nem kleinen Tier wenig tun kann. Da mag eine ähnliche Dynamik hinterstecken wie bspw. mit Farbzuchten, Exoten(ver)kauf usw. Angebot-Nachfrage - was war zuerst da, Huhn oder Ei?

Häufig wied ein intensive Diagnostik beim Heimtier ablehnender Tierarzt auch als unempathisch und unkooperativ beschrieben - wo erfahrene Halter wissen: hey, der hat recht und handelt tatsächlich im Sinne des Tieres, andere, die es nicht so gut wissen, aber sagen: woah, das ist ja schon fast unterlassene Hilfeleistung, wir gehen in eine Tierklinik, da kriegen wir alles! - Die dortigen Tierärzte freut es, die Hände werden gerieben, der Rubel rollt, das Tier wird malträtiert und stirbt am Ende möglicherweise nicht an der Krankheit, sondern am Stress, den es hatte (steile These 2.0).

Im Grunde genommen ist mir aber bei diesem Thema nur eins wichtig: dafür zu sensibilisieren, dass einiges nicht funktioniert. Dass es mehr schadet als nutzt und dass man eben KEIN schlechter Tierhalter ist, wenn man nicht alle theoretisch zur Vefügung stehenden Mittel in Anspruch genommen hat, um sein(em) Tier zu helfen/retten. Julias Aussage
Ich glaube, dass unsere Tiere uns zeigen, ob sie noch wollen oder nicht. Ich glaube, dass man, um einem Tier zu helfen, alles tun sollte, was nötig ist, aber nicht alles, was möglich ist.
bringt es auf den Punkt.
Habt Ihr solche Entscheidungen schon getroffen, bei denen Ihr nicht sicher wart? Wie beurteilt Ihr diese Fälle nachträglich?
Da mußte ich jetzt wirklich einen Moment lang überlegen. Und bei mir waren es eher die kleinen Dinge... ich hatte in der Vergangenheit ein paar sehr spezielle Exemplare, denen man unsediert noch nichtmal ansatzweise richtig ins Maul schauen konnte. Das war immer ein richtiges Drama. Im Nachgang hat sich herausgestellt, dass Kandidaten mit einem vermuteten Zahnproblem auch meistens eins hatten, deshalb lass ich mittlerweile gleich legen, bevor auch irgendwas anderes passiert. Und es hat sich im Nachgang immer als gerechtfertigt herausgestellt. Da ärgere ich mich wirklich drüber, dass ich das nicht früher schon so handhaben ließ.

Ansonsten gab es so einige Operationen, die heikel waren.. Operationen von Rezidiven, wo man sich fragte: lohnt sich das noch? Ja, hat es. Immer. Aber ich bin sicher, dass es - aus Sicht der Tiere - so einiges gab, was ich persönlich als nicht so schlimm ansah, dem Tier aber ziemlich zu schaffen machte. Ganz sicher sogar.
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Re: (Über-)Diagnostik bei Degus

Ich habe nach den weiteren Beiträgen bemerkt, dass ich eine Themaverfehlung hingelegt habe.
Überdiagnostik ist nicht Übertherapie.
Und tatsächlich kann ich mich jetzt direkt nicht daran erinnern, dass ich bei einem Degu (bei einem Kaninchen schon) zu viel habe untersuchen lassen bzw. Untersuchungsmethoden angewendet wurden, die ich im Nachgang besser abgelehnt hätte.
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