das Thema "Dominanz"

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11e48
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Re: das Thema "Dominanz"

Hallo,

auch als mittlerweile Ex-Halter habe ich eine Meinung ;)

Ich verstehe dies Aussage
Maravilla hat geschrieben: 12. Okt 2025, 17:10
In einer Gruppe mit mehreren Tieren gibt es also auch mehrere dominante Tiere.
so, dass bei 4 Tieren höchstens der unterste in der Rangfolge nicht dominant ist. Alle anderen sind gegenüber mindestens einem anderen Tier dominant.

In meinen Gruppen unterschiedlicher Größe und Zusammensetzung habe ich oft erlebt, dass einer beim Futter alle anderen dominierte, aber lieber einen Umweg lief, wenn jemand anderes im Weg saß. Es hing also von der Situation und den gesetzten Prioritäten ab, wann ein Tier sich dominant zeigte und wann nicht.
In all der Zeit habe ich eine eindeutige Chefin erlebt, bei der immer klar war, dass sie sich jederzeit nehmen konnte, was sie wollte wann sie es wollte. Meist wollte sie nicht ;) und sie brauchte selten bis nie körperliche Gewalt, sie hatte wohl eher "soziales Geschick" um Situationen zu regeln. Ihren Status hatte sie auch noch, als sie durch Krankheit angeschlagen war. Nach ihrem Tod wurde es deutlich unruhiger in der Gruppe. Ihr Vorgehen finde ich bis heute bewundernswert und auch durchaus im menschlichen Zusammenleben nachahmenswert, soweit ich die Feinheiten der Kommunikation überhaupt mitbekommen habe und übertragen kann.
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Maravilla
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Re: das Thema "Dominanz"

DaLo hat geschrieben: 16. Okt 2025, 09:49
Maravilla hat geschrieben: 12. Okt 2025, 17:10 In einer Gruppe mit mehreren Tieren gibt es also auch mehrere dominante Tiere.
Diese Schlussfolgerung verstehe ich nicht. Magst Du das nochmal detaillierter ausführen?
Nach der Lehrmeinung, auf die ich mich beziehe, geht es darum, dass man immer zwei Tiere einer Gruppe untereinander betrachtet. Hat man bspw. eine Gruppe von 4 Tieren (A, B, C, D), wird geschaut wie A-B, A-C, A-D, B-C, B-D und C-D jeweils zueinander stehen. Nur weil A gegenüber B dominant ist, heißt es ja nicht zwangsläufig, dass das auch für A-C und A-D gilt. Dominanz wird eben nicht als "nur der Big Boss ist dominant" gesehen, sondern gilt auch auf den nächsten Plätzen. Und halt immer nur dann, wenn das 2. Tier das auch akzeptiert.

Es heißt auch, dass Dominanz erst dann eine Rolle spielt, wenn die Tiere eine Beziehung zueinander aufbauen. Begegnet mir auf der Gassirunde ein stinkstiefeliger kleiner Kläffer (sorry), ist der nicht dominant, sondern entweder schlecht erzogen oder versucht durch Aggression, von seiner Unsicherheit abzulenken. Ebenso würde ich bei einer gerade erst gestarteten Vergesellschaftung nicht davon sprechen, dass ein Tier dominant ist, da die Tiere erst vor Kurzem aufeinander getroffen sind. Dominanzverhalten muss sich entwickeln.
DaLo hat geschrieben: 16. Okt 2025, 09:49
Maravilla hat geschrieben: 12. Okt 2025, 17:10 Wobei man, allgemein, auch verschiedene Arten von Rangordnungen unterscheidet.
Auch zu dieser Aussage fände ich mehr Input interessant.

Ich schwimme momentan beim Verständnis. Dass Dominanz erst bei mindestens zwei Individuen eine Rolle spielt, ist logisch. Dennoch ist es doch eine bereits vor dem Aufeinandertreffen mehrerer Individuen vorhandene Eigenschaft? :thinking:
So wie Harmoniebedürfnis, Anpassungsfähigkeit, Teamfähigkeit, Hilfsbereitschaft z.B. Da bedarf es auch mehrerer Individuen, damit diese Eigenschaften gelebt werden können.
Was die Rangordnungen angeht, gibt es einige. Bekannt ist die lineare Rangordnung (Hierarchie). Ganz oben der Boss, ganz unten das kleine Mäuschen, der Rest sortiert sich dazwischen ein. Hier würde gelten: A dominiert über B, C und D. B dominiert über C und D, C dominiert über D. Möglich wäre aber in einem anderen System auch A über B, B über C, C über D, D über B. Dann gibt es (allgemein) u.a. noch despotische Systeme (einer dominiert über alle anderen). Auch das militärische System mit seinen unterschiedlichen (unter sich ebenbürtigen) Dienstgraden ist eine Art von Rangordnung.

Dominanz wird verhaltensbiologisch eben nicht als Eigenschaft gesehen. Das ist nicht wie "groß, braun, jung, verspielt". "Dominant" heißt ja nicht "selbstbewusst" oder "souverän". Wobei "souverän" dazu beitragen kann, als "dominant" angesehen zu werden, "selbstbewusst sein" einen durch Selbstüberschätzung aber auch mächtig Ärger machen kann. (meine Meinung)

In dem hier angesprochenen Buch wird das auch so schön beschrieben: Die Bestimmung von Dominanzposition und Rangordnung ist komplex. Da wird die Zahl der begonnenen Auseinandersetzungen, die Zahl der gewonnenen Auseinandersetzungen und die Zahl der Auseinandersetzungen, an der ein Tier überhaupt beteiligt war, zueinander in Bezug gesetzt. Fast alle verwendete Verfahren kommen zum Ergebnis: Chef ist der, der nie beginnt, aber immer gewinnt.

11e48 hat das super aus ihrer Gruppe beschrieben. Ein souveränes Tier als Gruppenchefin, biologisch gesehen dominant über alle anderen, ohne aber die Ansprüche durch Beginn von Auseinandersetzungen durchsetzen zu wollen.
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Re: das Thema "Dominanz"

Das ist jetzt ein kleiner Exkurs von der Kerndiskussion, aber ich finde es sehr interessant und es passt m.E. hier her, da wir ja festgestellt haben, dass aggressives Verhalten häufig (falsch) als Dominanz definiert wird.
Regelmäßig wird dazu geraten, aggressive Männchen kastrieren zu lassen, damit sie verträglicher mit anderen Männchen werden. Das Argument: Weniger Testosteron = weniger aggressiv.
Wir argumentieren dagegen, dass dieser Eingriff bei Degus wenig erfolgreich ist, da bei ihnen in den Hoden nur wenig Testosteron gebildet wird.
Jetzt habe ich gelesen, dass die Forschung zunehmend davon abkommt, dass das Testosteron die Hauptrolle für (männlich) aggressives Verhalten spielt. Hier wird ein niedriger Cortisolspiegel in den Fokus gerückt. Cortisol als Stresshormon wird in entsprechenden Situationen ausgeschüttet, um die Impulsivität zu bremsen. Ist wenig Cortisol vorhanden, kann weniger ausgeschüttet und der Stress weniger abgefedert werden. Frust und Gewaltbereitschaft steigen.
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Re: das Thema "Dominanz"

DaLo hat geschrieben: 27. Okt 2025, 09:39 Das ist jetzt ein kleiner Exkurs von der Kerndiskussion, aber ich finde es sehr interessant und es passt m.E. hier her, da wir ja festgestellt haben, dass aggressives Verhalten häufig (falsch) als Dominanz definiert wird.und
Ich finde das nicht als Exkurs, sondern als logische Fortführung der Überlegungen. *up*

Hier wäre das Wissen eines Biologen oder (Tier)Mediziners wirklich hilfreich. Vielleicht bietet sich ja jemandem die Möglichkeit, mal beim nächsten Tierarztbesuch nachzufragen, ob die Wirkungsweisen der Hormone bei Säugetieren tatsächlich vergleichbar sind. Denn dann könnten durchaus Parallelen gezogen werden.

Aber: Bei Hunden geht man tatsächlich davon aus (bzw. es ist bewiesen?), dass Testosteron ein wichtiger Gegenspieler von Cortisol ist. Das ist auch eins der Probleme meines viel zu früh kastrierten Rüden, der definitiv ein Angsthund ist und ein ganz großes Problem mit der Regulierung von Stess hat. Dem fehlt Testosteron in ausreichender Menge (auch Hunde bilden einen kleinen Teil außerhalb der Hoden, aber viel zu wenig, um beim (Früh)Kastraten in solchen Situationen relevant zu sein). Ich bilde mir sogar ein, gelesen zu haben, dass als Frühkastration jede Kastration vor Abschluss der sexuellen Reife gesehen wird. Also gar nicht vor Einsetzen der Geschlechtsreife, sondern bei Hunden (abhängig von der Größe) vor Abschluss des ca. 2.-4. Lebensjahres.
Falls Bedarf besteht, müsste ich tatsächlich noch mal tiefer in meine diversen Bücher eintauchen und die Infos zusammensuchen.

Und, das ist jetzt wirklich ein Exkurs, da der Aspekt bei Deguweibchen z.B. keine Rolle spielt, da diese i.d.R. nicht kastriert werden: Der Wegfall der Geschlechtshormone hat relevante Auswirkungen auf den gesamten Organismus, geht statistisch gesehen mit einer Häufung bestimmter Erkrankungen, ich glaube sogar bestimmter Tumorarten einher.
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